(Österreich) Im Mai 2011 wurde ein langjähriger ÖVP-Gemeinderat und Kneipenbesitzer aus Niederösterreich vom Landesgericht Korneuburg (AZ: 630 Hv 7/10h) als Sexualverbrecher zu einer unbedingten Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt. Das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Mag. Furtner sah es nach einem umfassenden Beweisverfahren als erwiesen an, daß der Angeklagte über den Zeitraum mehrerer Jahre jedenfalls vier Dienstnehmerinnen sexuell mißbrauchte, wobei die Bandbreite der Tathandlungen von intensiven Berührungen der Geschlechtsteile bis hin zur Vergewaltigung reichte. Alle Vergehen¹ und Verbrechen² wurden immer unter körperlicher Gewaltanwendung des Täters vorgenommen. Ebenso verurteilt wurde die Gattin des Verbrechers zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten (zur Bewährung ausgesetzt), weil diese zwei der vier Opfer dazu nötigen wollte, von Aussagen bzw. Anzeigenerstattungen Abstand zu nehmen.
Aufgedeckt wurde das Ausmaß der verbrecherischen Handlungen des Täters erst, als die Ermittlungsbeamten der Polizei nach der Anzeigeerstattung eines der Opfer bei anderen ehemaligen Dienstnehmerinnen Erhebungen durchführten, und diese dann begannen, von ihrem eigenen Martyrium zu berichten. Vorgänge, die die Opfer tief in sich vergraben hatten, und die erst Schritt für Schritt wieder zurück in das Bewußtsein kamen, wie der Ablauf der Ermittlungen und des Verfahrens zeigte.
Foto: Archiv © DER GLÖCKEL (Aufnahme vom Juli 2009) der erstinstanzlich verurteilte Sexualverbrecher, li unten seine Gattin – beide bei einem Empfang; das Gerichtsurteil weist aus, daß der Angeklagte bis ins Jahr 2010 seine Tathandlungen beging; seine Gattin die Nötigungen der Opfer 2009 und 2010 vornahm
Gegen dieses Urteil haben die Rechtsvertretungen der Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung eingebracht. Ebenso aber hat die Staatsanwältin, Mag. Bischof, in einer juristischen Kernfrage Rechtsmittel zu dem Urteil angemeldet. Dabei geht es um eine strafrechtliche Klassifizierung, die von erheblicher Bedeutung auch für ähnlich gelagerte Fälle ist. In der Urteilsbegründung der 1. Instanz wurde die Rechtsansicht vertreten, daß es bei der vorgenommenen oralen Vergewaltigung durch den Täter beim Versuch geblieben ist und das Ejakulieren in den Mund bzw. auf dem Kopf eines Opfers nicht vom Vorsatz des Angeklagten, diese dadurch besonders zu erniedrigen, getragen war, so daß nicht von einer qualifizierten Vergewaltigung ausgegangen werden könne. Die engagierte Staatsanwältin ist der Auffassung, daß es dafür nicht das geringste Beweisergebnis gibt, da der Angeklagte und erstinstanzlich Verurteilte ja die Tat insgesamt leugnet. Nach der Rechtssprechung wäre aber gerade durch ein Ejakulieren in den Mund bzw. auf den Kopf das Qualifikationsmerkmal der „besonderen Erniedrigung des Opfers nach § 201 Abs. 1 und 2 StGB“ erfüllt.
Die Klärung dieser Rechtsfrage ist von essentieller Bedeutung für das Strafmaß dieses Verbrechens, da dem Täter eine Mindeststrafe von 5 Jahren drohen würde, sofern die Berufungsinstanz dieser Beurteilung folgt.
Der langjährige Politiker ist unmittelbar nach dem Urteil des LG Korneuburg von seinem Amt als ÖVP-Gemeinderat zurückgetreten.
Am Mittwoch, den 14. März 2012 findet um 9:30 Uhr im Saal F am Oberlandesgericht Wien die Berufungsverhandlung statt. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten wurde bereits abgewiesen. Wir werden über den Ausgang berichten.
¹ Vergehen: strafbare Handlungen, die mit einer bis zu 3-jährigen Freiheitsstrafe bedroht sind;
² Verbrechen: vorsätzliche Handlungen, die mit mehr als 3-jähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.
§ 201 StGB Vergewaltigung
(1) Wer eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
(2) Hat die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) oder eine Schwangerschaft der vergewaltigten Person zur Folge oder wird die vergewaltigte Person durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt oder in besonderer Weise erniedrigt, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren, hat die Tat aber den Tod der vergewaltigten Person zur Folge, mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.