Erfurt

KOMMENTAR | Der Fall Erfurt war die traurige Fortsetzung einer langen Kette von Gewalttaten, die uns in ihrer Absurdität vorerst sprachlos zu scheinen machen. Noch nicht einmal die Spuren am Tatort gesichert, mehren sich wieder die Stimmen von Film- und Spieleverboten bestimmter Ausrichtungen und die abgedroschene Thematik des Waffengesetzes dringt in die Münder der Politiker. Jene sich fast im laufenden Wahljahr die Parkplätze in Erfurt gegenseitig zu reservieren suchen, bemühen sich darum, sich ins rechte Bild zu bringen. Doch zwei Aspekte scheinen doch tatsächlich zum Nachdenken anzuregen: Ein Erfahrungswert besagt, dass nichts nur eine Seite hat. Was man im Falle des Gymnasiums beobachten, ja gar fühlen kann, ist die Veränderung des Verständnisses und der Beziehung zwischen Schüler- und Lehrerschaft. Diese entsetzlichen, gemeinsam durchgemachten Ereignisse des Tattages werfen alle Beteiligten aus ihren Bahnen und dort, wo sie sich wieder treffen, ist die pure Menschlichkeit. Dort wo sich Emotionen, Gefühle mit Tränen und Trauer gepaart, treffen, dort stehen sie jetzt, die Menschen in den Schülern und Lehrern. Sie reichen sich wahrlich die Hände, betrachten sich aus einer neuen Perspektive, aus der des Opfers. Es wird sie ihr Leben lang begleiten – sie wurden plötzlich ihren Rollenleben situationsbedingt entrissen und das nackte Überleben zählte.

Was nun den anderen, den zweiten Aspekt betrifft, so ist es die vielerorts gestellte Frage nach dem Warum? und der Verantwortlichkeit. Nicht die gewalttätigen Filme oder Computerspiele sind es. Sie sind allesamt nur ein Endprodukt unserer Gesellschaft. Die Wirtschaft produziert nur Konsumgüter, die auch abgesetzt werden können und die Käufer sind Mitglieder der Gesellschaft. Das ökonomische Prinzip „die Nachfrage regelt das Angebot“ bestimmt letztlich die Produktion. Welche Werte vermittelt unsere Gesellschaft? – Welche Vorbilder geben wir denn ab? – Was sind denn nun die Dinge, die wir glauben einfordern zu müssen?

  • Politiker und Parteien beschliessen Gesetze und streichen Millionen an Schmiergeldern ein;
  • Asylanten wird in menschenunwürdiger Weise bei der Abschiebung der Mund verklebt und da passiert es, dass einer in der Folge verstirbt;
  • Als Kniefall vor der Pharmaindustrie wird ein menschlicher Embryo als Ware gehandelt;
  • Ein taubes Paar lässt den Nachwuchs genmanipulieren, um ein ebenfalls taubes Kind auf die Welt zu bringen;
  • Das Streben ist nicht auf Menschlichkeit oder humanitäre Werte ausgerichtet, sondern nach mehr und immer mehr, das Beste, das Tollste …

Schuld, Schuld an der Tragödie hat die Gesellschaft und diejenigen, die am lautesten nach Verboten und Einschränkungen rufen, sollten versuchen sich an Themen heranzutasten, die zwar unpopulär sind, aber von Charakter zeugen. Menschen eine Basis zu ermöglichen, wo wirtschaftliches Überleben einhergehen kann mit einem aktiven Familienleben. Aus dieser Kernzelle können Monster oder aber Wesen heranwachsen, die gar kein Bedürfnis haben in Computerspielen zu töten und schon gar nicht im wirklichen Leben.

Walter Egon Glöckel

Film-, und Videoproduktion - Informationsagentur.com e.U.

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