Ostern – Perspektivenwechsel

Man huldigt den Köpfen der doch so mächtigen Finanzwelt. Der gute Durchschnittsverdiener verfügt schon über sein eigenes Aktienpaket und in einem Land, in dem es wirtschaftlich seit Jahren bergauf ging, treffen sogar schon Pensionisten ihre Wahlentscheidung nach den Kriterien der Auswirkung auf den Kapitalmarkt durch die künftige Gesetzgebung. Das Fernsehen berieselt uns mit Spots der Anlagegesellschaften und zeigt uns auf, dass die erreichbaren Ziele der Neuzeit das eigene Flugzeug oder die Motorjacht um ein paar Mille sein kann. Und wer einer anderen Kategorie der Geldverdiener angehört und es sich nicht leisten kann, im neuen Spiel der Gesellschaft der Kaptialvermehrung an den Börsen zu folgen, dem lächelt frohlockend das Glücksspiel entgegen. Ob das Glücksrad, Brieflos, die Klassenlotterie oder die Chance, mit der richtigen Antwort den Geldregen zu erlangen, die Möglichkeiten sind da und werden genutzt. Schliesslich will man sich ja auch was leisten können und wen schert es dann schon, hinter die Kulissen zu blicken, denn den wahren Preis bezahlt immer ein anderer.

Es gab einmal einen Mann, der tauschte für eine bestimmte Zeit seinen Arbeitsplatz. Als Grosskonzernbesitzer mit all dem was dazu gehörte, schlüpfte er in die Rolle des kleinen Arbeiters in seinem eigenen Betrieb, einer Filiale in einem anderen Land. Dort konnte der am eigenen Leib erfahren, wie Vorarbeiter und Kollegen mit der Belegschaft umgingen. Es wurde gestohlen, belogen und betrogen. Der geistige Inhalt, das Fundament seines Imperiums, wurde mit Füssen getreten. Jeder Firmeninhaber weiss, dass die beste Idee ohne Mitwirkung der Anderen zum Scheitern verurteilt ist. Vorgaben kann er machen, aber die Umsetzung liegt an jedem einzelnen. Um dies seinen Mitmenschen in letzter Konsequenz vor Augen zu führen, traf er eine Entscheidung. Diese Entscheidung beinhaltete, dass er, um die Wichtigkeit und die Bedeutung des Fundamentes aufzuzeigen, viel an Entbehrung hinnehmen musste.

In dem Augenblick, als er seine Lunge zur Gänze entleerte und sein Körper schlaff und dennoch anmutig am Kreuze hing, vollendete er sein Opfer. Er zeigte damit auch auf, dass es mehr gibt als das, was uns scheinbar umgibt und dass das Streben nach wahren Inhalten auch Opfer in sich birgt – so wie es sein Opfer war, alles aufzugeben, wie wir zu leben, um in einem Akt der Gnade aufzugehen. Ostern steht bevor und man gedenkt des Todes eines Gottes, der sein grösstes Opfer darin sah, wie die von ihm geschaffenen Geschöpfe zu leben und durch ihre Hand zu sterben. Darin liegt etwas geistig eigentlich gar nicht Vergleichbares. Welcher Mensch würde dies im umgekehrten Sinn tun – als Milliardär alles wegzugeben, dann etwa 30 Jahre zu leben in dem Wissen, danach gefoltert und letztendlich nach Stunden am Kreuz zu sterben?

Aber es wird auch die Auferstehung gefeiert, die im Grunde auch aufzeigt, dass die Existenz über den Tod hinaus geht. So sitzen die Menschen zu Ostern an ihren reich gedeckten Tischen und erinnern sich, die einen mehr, die anderen weniger, an ein Ereignis, wo ein Gott durch ihresgleichen gerichtet wurde. Vielleicht mit Gedanken der Dankbarkeit, aber wo bleibt der Moment der Andacht, in dem bewusst wird, dass es unseresgleichen war, das einen Gott prügelte, quälte, schindete und mordete, das was wir heute noch machen?

2001-01-22

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