(Österreich) Im Jahre 1968 veröffentlichten die Juristen DDr. Walter Schuppich und Dr. Werner Sporn die erste vollständige Sammlung der österreichischen Gesetze mit dem Titel „Österreichisches Recht“ und begannen ihr Vorwort mit folgender Einleitung:
Im immerwährenden Kräftespiel zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft sind staatliche Gesetze die notwendigen Spielregeln. Sie bewahren den einzelnen vor willkürlichen Zugriffen des Kollektivs und bieten ihm in ihrer Vollziehung Schutz vor Macht, Willkür und schrankenlosem Ermessen. Es gilt, die Herrschaft des Gesetzes zu stärken: Gesetzeskenntnis ist daher erste Bürgerpflicht.
Die Zeiten haben sich geändert und die Gesetze, die als Normen für das gesellschaftliche Leben gelten, haben in ihrem Umfang zugenommen, so daß die Überschaubarkeit für den durchschnittlichen Staatsbürger nicht mehr gegeben ist und selbst Advokaten ihre Mühen damit haben. An der Grundaussage von Schuppich und Sporn, der „Gesetzeskenntnis als Bürgerpflicht“, ist jedoch nichts verrückbar, im Gegenteil: der alte Ausspruch, daß Wissen Macht sei, symbolisiert Realität und hat Bedeutung mehr denn je.
In dem sensiblen Tätigkeitsbereich der Durchsetzung von Menschenrechten ist Amnesty International ein Begriff, eine Institution, die seit Beginn der 60er Jahre aus dem persönlichen Engagement des britischen Anwaltes Peter Benenson entstanden ist. Vielen Menschen ist diese Organisation von Informationsständen her auf der Straße bekannt. Mit etwas Aufmerksamkeit kann man auch in Medien immer wieder ihre Appelle und Jahresberichte wahrnehmen, die einmal mehr, ein andermal weniger auf Interesse des durchschnittlichen Bürgers stoßen. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger und sehr wesentlicher Faktor derer Tätigkeit, aber wer weiß denn schon, daß bei AI auch Zivildienst geleistet werden kann, oder daß diese Menschenrechtsorganisation seit dem 11. September 2004 in Österreich die ai-academy betreibt? Und mit der ai-academy in Österreich findet sich wieder der Anknüpfungspunkt zu Schuppichs und Sporns zitiertem Vorwort. Laut Eigendefinition bietet diese Bildungseinrichtung die Gelegenheit, sich Grundwissen und -fähigkeiten zum Thema Menschenrechte anzueignen oder sich in bestimmte Bereich zu vertiefen. Veranstaltungen können für berufliche Zusatzqualifikationen nützen, aber auch einfach aus privaten Interesse und Engagement besucht werden.
Mit der Teilnahme an dem Workshop „Halt, Polizei! Rechte und Pflichten im Alltag“ haben wir uns ein Bild vom Inhalt und der Umsetzung der praktischen Akademie-Arbeit gemacht, sowie Einblicke der Teilnahmemotivation der Besucher gewonnen. Laut Inhaltsangabe ging es um die Erörterung der Befugnisse der Polizei und privater Sicherheitsdienste, wobei hervorgehoben wurde, daß Erstgenannte als die wichtigste Menschenrechtsschutzeinrichtung angesehen wird. „Von Teilnehmern eingebrachte Einzelfälle können im Workshop diskutiert werden. Der Workshop ist aber nicht als konkrete Einzelfallberatung gedacht.“ – so lautete es auszugsweise im Programmheft der ai-academy zu dieser Veranstaltung.
Mag. Dieter Schindlauer
Als Vortragende agierten Mag. Dieter Schindlauer, Geschäftsführender Obmann von Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit sowie der stellvertretende Kommandant des Stadtpolizeikommando 1 (Floridsdorf), Oberstleutnant Günther Berghofer. Administrativ begleitet wurde die Veranstaltung durch eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von Amnesty International. Überraschend war, daß der Anteil der weiblichen Besucher nur 20 % umfasste, hingegen lag die Motivation für die Teilnahme überwiegend aus negativen Erfahrungen im Umgang mit der Polizei. Nur ein einzelner Workshop-Besucher fiel nicht nur mit dem selbst deklarierten „allgemeinen beruflichen Interesse an der Thematik“ aus dem Rahmen, sondern auch deshalb, weil es ihm scheinbar ein Bedürfnis war, seine umfassenden persönlichen „sicherheitsrelevanten Belange“ vor der Gruppe darzulegen. Waffenträger in Österreich und der Schweiz sei er, bis hin zum ausgebildeten Mediator und Tätigkeiten, die auch das Justizministerium betrafen. So bereicherte er die Teilnehmer mit dem Wissen um seine Person, wobei dem genauen Beobachter, sein an seiner Gesäßtasche sichtbares Messer ins Auge stach. Aus den Vorstellungen mit kurz angesprochenen persönlichen Erlebnissen der Kursteilnehmer mit der Exekutive ließ sich inhaltlich ein interessanter und abwechslungsreicher Tag erwarten. Die Bandbreite der Begegnungen negativer Art spannte sich von Erlebnissen bei Demonstrationen über das (zumindest für den Betroffenen traumatische Erfahrungen), was passieren kann, wenn man eine Wohnung bezieht, in der noch vor dem Vormieter ein Verbrecher gewohnt hat, bis zu einem jungen Mann, der ein getuntes Auto fährt und sich immer wieder mit der Exekutive konfrontiert sieht.
Obstl. Günther Berghofer
Für den kundigen Beobachter war schon das Bild des gemeinsamen Auftretens in einer Schulungsveranstaltung von einem Menschenrechtsaktivisten und einem leitenden Organ der Polizei eine Besonderheit für sich. Schindlauer untermauerte dies selbst mit seiner Aussage zur Einleitung, daß eine derartige Zusammenkunft noch vor 5-7 Jahren undenkbar gewesen war.
Auch in diesem Punkt hat ein Umdenken stattgefunden, und Feindbilder zwischen Menschenrechtsvertretern und Polizei unterliegen einem positiven Entwicklungsprozess, wenn auch noch nicht auf allen Ebenen.
Mißtrauen, Feindbilder und Vorurteile abzubauen und umzustrukturieren gilt es genausosehr wie deren Analyse, die im Workshop vorgenommen wurde. Aus dem praktischen Lebensalltag entnommene Beispiele und Szenarien wurden diskutiert, wie die im Grunde banale Aufforderung zur Aushändigung einer Visitenkarte an einen Polizisten, aber auch Themenbereiche, die die Anlegung der Handfesseln betraf. Festnahmebestimmungen und das Sicherheitspolizeigesetz, vor allem im Hinblick auf die problematischen (Kann)Bestimmungen, die das Handeln von Polizisten im Vorfeld einer möglichen Straftat regeln, waren ebenso Gegenstand der Veranstaltung, wie auch die Erläuterungen um die Tätigkeiten des Menschenrechtsbeirates.
Zitat Schindlauer: „Die Polizei verwaltet das Gewaltmonopol“ eine Aussage, die im Bewußtsein bleiben sollte, umso stärker zeigte sich deren Tiefgründigkeit, als eine Kursteilnehmerin an Berghofer die Frage richtete, wie es sich denn mit der Ausbildung und der Prüfung der charakterlichen Eigenschaften der Polizisten selbst verhält. Die Position des Polizeivertreters in dem Workshop ist wesentlich diffiziler als die Schindlauers, sah er sich doch mit konkretisierten Fällen konfrontiert; dennoch war der Teilnehmer in der Lage, zu unterscheiden und den Buh-Mann wollte weder jemand in seiner Person gesehen noch verwirklicht haben wollen; Kein Prellbock für frustrierte Geschädigte resultierend aus eben denjenigen Handeln von Polizisten, die das Gewaltmonopol mißbrauchen. Gerade er war aus unserer Sicht, auch im Hinblick auf seinen Werdegang und seine Tätigkeit innerhalb des Exekutivdienstkörpers eher ein Außenseiter, der auch Seminare innerhalb der Behörde für Polizisten durchführt. Für Kenner ist allein schon der Umstand bemerkenswert, daß er seit über 12 Jahren noch an der Position des stellvertretenden Kommandanten steht, spricht mehr für als gegen ihn. Er sprach auch klar und deutlich aus, daß die Aufarbeitung von Vorfällen bzw. Problemsituationen innerhalb der Polizei noch nicht dem entspricht, was wünschenswert wäre: Supervision für Polizeibeamte als Selbstverständnis und nicht nur in wenigen einzelnen Fällen. Berghofers Aussage „Autorität muß heute hinterfragbar sein“ zeugt von einer offen persönlichen Entwicklung und basiert auf Erfahrung und der Vornahme der eigenen Arbeit ohne Scheuklappen.
Zieht man über den Workshop ein Resümee, dann war es bedauerlich, daß zeitbedingt nicht alle Teilnehmer ihre Erlebnisse mit der Polizei darlegen konnten. Ebenso, daß der Kursinhalt über die Rechte privater Sicherheitsdienste gänzlich unbehandelt geblieben ist. Eine Veranstaltung, die auch zwei Tage füllen könnte, je nach Erfahrungswerten der Teilnehmer. Dies soll jedoch in keinster Weise das Ansinnen der Einrichtung schmälern – im Gegenteil, die Teilnahme der Besucher zeigt das Interesse, sich Wissen aneignen zu wollen und dem Bestreben, sich sachlich mit der Thematik auseinander zu setzen.
Die Exekutive betreffend – die Hoffnung, daß sich eine Polizei entwickelt, die den Anforderungen einer sich permanent verändernden Gesellschaft in dem Sinne nachkommt, von durchschnittlich anzuwendenden Mitteln der Amtsausführung Abstand zu nehmen und die Bedeutung und Wichtigkeit jedes einzelnen Individuums zu erkennen, und dabei entsprechend menschlich agiert. Denn menschlich, human zu agieren schließt die Durchsetzung der Gesetze keineswegs aus, wobei die Menschenwürde bewahrt werden kann, sollte und muß.
Im Hinblick auf Amnesty International Österreich ist die Akademie eine Bildungseinrichtung, die hoffentlich eine Vorreiterrolle einnimmt, da weder die AI-Sektion in Deutschland noch in der Schweiz eine derartige Einrichtung betreibt.
In diesem Workshop sind sich unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichen Positionen, Interessen, Ansichten und Absichten begegnet, um sich auszutauschen, sich bestätigt zu sehen, widerlegt zu werden und eigene Probleme aufzuarbeiten. Man trat offen in einen Dialog ein in der Hoffnung, für sich Lösungen zu finden, und, wenn es, wie in einem Fall beim Teilnehmer dazu führt, daß er einem Polizisten auf Straße wieder begegnen kann, ohne innerlich in eine negative Erwartungshaltung zu verfallen, dann ist man einen Schritt weiter. Vorurteile abzubauen, Feindbilder abzuschaffen und Kenntnis über Menschenrechte zu erlangen ist das Resultat dieses Workshops, womit diese Bildungseinrichtung unserer Meinung die Berechtigung der Weiterentwicklung einer gesellschaftspolitischen Notwendigkeit ist.
060110