Vorbeigegangen in Frankfurt am Main

Obdachlose in Frankurt am Main | Foto: DerGloeckel.eu

(Deutschland) Es war in einer kalten, windigen Nacht bei einsetzendem Schneefall, als wir dieses Photo Ende Jänner in Frankfurt am Main machten. In einer Seitengasse der Fußgängerzone, von den wenigen vorbeihastenden Menschen wahrnehmbar, lagen auf einem Abluftschacht zwei in Säcke gehüllte Körper. Vielleicht sogar ein vertrautes Bild für die wenigen Anrainer der Bürogegend. Schon im ersten Augenblick des Herannahens an den „Lagerplatz“, wo bei der dürftigen Beleuchtung gar nicht eindeutig erkennbar war, ob es sich hierbei tatsächlich um menschliche Körper handelt, drängte sich der krasse Widerspruch zwischen der „Finanzmetropole I“ und der Obdachlosigkeit geradezu auf. Betroffenheit und Nachdenklichkeit stellten sich spontan ein. Rief doch dieses Bild eine zurückliegende Wahrnehmung in einer anderen Stadt hervor.

Im Jahre 1993 wurde in New York an einem frühen Morgen im Oktober diese Aufnahme gemacht. New York und Frankfurt, zwei Finanzzentren, wo Reichtum und Armut als krasse Gegensätze auftreten.

Obdachloser in New York

Obdachlosigkeit ist allgegenwärtig. Gerade in New York nützen Menschen, die abseits der Gesellschaft leben, die Lokalitäten, wo tagsüber hunderttausende Menschen der Expansion der Wirtschaft mit ihrem geschäftigen Treiben nachgehen, um diese während der Nachtstunden verlassenen Gegenden als Schlafplatz zu nutzen.

In Frankfurt dürfte es sich ähnlich verhalten, und trotz der umfangreichen Bemühungen des Sozialamtes der Stadt, die zahlreiche Angebote von Notunterkünften bis hin zum sogenannten „Kältebus“ in Zusammenarbeit mit anderen karitativen Einrichtungen betreibt, gibt es Menschen, die es ablehnen, bei eisiger Kälte geschützte Räume für die Übernachtung aufzusuchen.

Laut dem Teamleiter der Abteilung „Hilfen bei Wohnungslosigkeit und Sucht“, Herrn KULCZAK, gibt es in Frankfurt/Main etwa 350 bis 500 Menschen, die auf der Straße leben. Die Sozialeinrichtung bietet in Kooperation mit kirchlichen und kommunalen Trägerverbänden rund 2000 Plätze in Wohnheimen, betreuten Wohngruppen, Wohnwagen und Hotels an. Einkaufspassagen werden während der Winterzeit offen gehalten und ebenso die „Bahnhofsstation“. Insgesamt stehen rund zusätzlich 350 Notunterkünfte zur Verfügung. Warum dennoch Menschen auf der Straße im Freien bei eisigen Temperaturen verbringen, wird seitens Herrn KULCZAK folgendermaßen beantwortet:

Einige davon sind selbst im strengsten Winter nicht dazu bereit, in einer Unterkunft Schutz vor der Kälte zu suchen. Die meisten davon leiden an psychischen Erkrankungen oder an einer Sucht, oder sie leben illegal in Deutschland.

Klammert man die psychisch kranken und sich illegal in Frankfurt aufhaltenden Personen aus, dann verbleibt ein in Anzahl nicht zu identifizierbarer Teil übrig. Es gibt also Menschen, die trotz umfangreichen Bemühens ganz bewußt keine Hilfe in Anspruch nehmen.

Das Bild als Botschaft, die Handlung und Lebensweise als stiller Protest – eine Frage, eine Spekulation? Wir hätten diese Menschen aufwecken und fragen können, es aber unterlassen, weil Respekt und Achtung es geboten haben – aus reiner Intuition. Wer sich auch immer in den Säcken zum Schutz vor der Kälte verbergen vermag, ist jedoch greifbarer, näher und menschlicher als viele andere. Individuen, Menschen, die eine Entscheidung getroffen haben und sie mit all den möglichen Konsequenzen leben.

062103

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